Interaction Design ist…

eine Diskussion auf farcebook im März 2017

Eine lesbare Rekonstruktion zu einer unlesbaren Diskussion auf farcebook. Da an der Unlesbarkeit allerdings fb durch sein schlechtes Interaktionsdesign die Schuld trägt, ist die Diskussion hier wiedergegeben. Das Highlighting und ein paar extra Links stammen von mir, dem Informationsarchäologen. Die Orthographie wurde minimal korrigiert. Die Diskussionsteilnehmer sind in Reihenfolge ihres Auftretens:

Diskussion_

15. März 2017

Stefan Wölwer, March 15 at 8:03am: UX Design is about individualism, Interaction Design about society. #UX #IxD #thediscussionisnotoveryet

mprove: @stefanwoelwer neither nor. cf. @IxDA says http://ixda.org/ixda-global/about-history/
I suppose it is time to coin a new term: social experience design ?!

Thorsten Jankowski: Warum?

Stefan Wölwer: Der Versuch einer Einordnung geht auf eine lange Diskussion zurück, die ich mit ein paar Leuten am Rande der IxDA 2014 in Amsterdam geführt hatte. Ich war damals sehr erstaunt, dass auf einer Interaction Design Konferenz derart viel über UX Design gesprochen wurde. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoller gewesen, den draussen noch relativ jungen Begriff Interaction Design zu schärfen.

Mit dabei war auch Matthias Müller-Prove und wir hatten uns im vergangenen Jahr mal wieder vorgenommen, UX und IxD näher zu definieren und nahmen die PAGE connect Initiative zum Anlass, unsere Gedanken dazu aufzuschreiben. Was soll man sagen, die jeweiligen „Definitionen“ passten auch zum Thema des anderen und wir stellten fest, dass es auf die jeweilige Perspektive des Designers ankommt.

Und dieser Tage hat Matthias sich zu Recht gewundert, warum John Maeda das alles als Computational Design bezeichnet!

16. März 2017

Minh X Uong: UX design is all about empathy.

Stefan Wölwer: Lesenswert: Fritz Breithaupt: Die dunklen Seiten der Empathie

Marc Hassenzahl: Bei Suhrkamp werden immer die dunklen Seiten von irgendetwas beschworen. Es gibt gar keinen betonenswerten Unterschied zwischen UX Design und Interaktionsdesign. UX betrifft das sensible, für Emotionales und auch Irrationales offene, Gestalten – Verständnis zu haben für Situationen und Bedürfnisse von Menschen, auch in ihrer gesellschaftlichen Einbettung. Aber eben nicht mit Plakaten sondern durch die gestaltete Interaktion mit Artefakten. Die Experience realisiert sich durch Interaktion.

Stefan Wölwer: Moin Marc, schön, von Dir zu hören! Wie ist es in Siegen? Das Buch ist gar nicht so dunkel, wie der Einband ahnen lässt. "Die Experience realisiert sich durch Interaktion" finde ich schön. Und da wir die Interaktion selbst nicht gestalten können, machen wir uns an die Parameter ran: Interaction Design is about designing the parameters which frame the interactions between us, space and things.

Marc Hassenzahl: Ach, es gibt immer intangible und tangible Elemente beim Design. Aber zu argumentieren, man würde gar kein Bild malen, sondern nur Farbe auftragen und Linien zeichnen ist doch Quatsch. Das Ziel ist es z.B. eine Interaktionsgestalt zu erhalten, die Bedeutung tragen kann, letztendlich tue ich das in dem ich technologische Arrangements parametriere ... aber das letzte dann als Design zu verstehen und das Ergebnis nicht. Na ja ...

Stefan Wölwer: Für mich ist die Interaktion selbst nicht endgültig gestaltbar. Ich mag ein Bild davon haben, wie es funktionieren könnte, kann es aber nicht hundertprozentig kontrollieren. Das unterscheidet IxD von den klassischen Gestaltungsdisziplinen, deren gestalterischer Prozess ein klares Ende hat, wenn's Bild gedruckt ist. Das heisst nicht, dass Interaktion kein Ergebnis eines Designprozesses ist.

Marc Hassenzahl: Ich finde das stimmt einfach nicht. Auch ein gedrucktes Bild ist nicht zu kontrollieren. Wenn es allein um die Umsetzung geht, ist ein Interaktionsdesign genauso fixiert wie ein Bild. Ich habe ja alle Parameter festgelegt. Wenn es um die Nutzung, die Aneignung auch geht, dann ist beides nicht 100% festzulegen. Auch ein Bilderproduzent kann nicht sicher sagen, wie sein Bild verstanden und genutzt wird. es kommt also mit der Frage, ob Bedeutung und Nutzung als Teil der Gestaltung verstanden werden oder nicht. Aber auch diese Diskussion ist eine Scheindiskussion, denn auch wenn man nicht 100% sagen kann, wie etwas angeeignet wird, muss man doch mögliche Aneigungen einschreiben = design. Und sich dieser klar werden und anlegen.

Marc Hassenzahl: Es gibt natürlich doch einen Unterschied –– zwei unterschiedliche Societies, die verzweifelt versuchen, sich voneinander abzugrenzen, um etwas "für sich" zu haben.

Stefan Wölwer: Das allerdings hatten Matthias und ich auch nicht vor. :-)

Matthias Müller-Prove: UX Designer sehe ich gar nicht als Society – im Sinne von Berufsverband wie zB. IxDA - Interaction Design Association , oder UPA, IA Institute, etc.

(Den Crazy Ivan der US-UPA, sich umzubenennen, will ich hier nicht kommentieren.)

Bei UX muss man immer dazu sagen, auf welche Definition man sich bezieht. Das macht es nicht leichter. vgl. User Experience Design

Stefan und ich suchen nach einen Begriff, der sich um die UX unabhängiger Individuen kümmert, die per Produkt, System oder Service miteinander interagieren.

Sollte das schon hinlänglich bei der IxDA dabei sein? Zitat:

What is interaction design?

Interaction Design (IxD) defines the structure and behavior of interactive systems. Interaction Designers strive to create meaningful relationships between people and the products and services that they use, from computers to mobile devices to appliances and beyond.

Oder müsste man nicht umformulieren und ergänzen, "...relationships between people and the products AND relationships among people mediated through products that they use".

Marc Hassenzahl: Es geht – aus meiner Sicht wohlgemerkt – NIE um die Beziehung zwischen Produkt und Person. Dass ist "altes" Denken, so Marketing-Stuff - nächste Phone, Gold, Titanschwarz, runde Ecken, eckige Ecken. Es geht nur um die Erlebnisse, die ein Produkt durch Funktionalität und Interaktion ermöglicht und mediiert. Produkte sind Teile bedeutungsvoller Praktiken, ermöglichen sie und formen sie. Das machen dann auch Designer. Ich habe mich ja intensiv mit dem Mediieren von Nähe über die Distanz durch Tech beschäftigt, dein "relationships among people mediated through products that they use". Ein Paradebeispiel für Experience Design. Und das gilt immer - ein Fotoapparat ist nicht geil, oder cool, oder chic, er kreiert Praktiken des Dokumentierens und Erinnerns. Ein gutes "Produkterlebnis" ist aus meiner Sicht eines, dass dies versteht und adressiert.

Marc Hassenzahl: "It is in the responsibility of the interaction designer to not only design the immediate material interaction, but to provide shape to the practices established through the material. Potential practices have to be identified and, at least to some extent, "designed" before being inscribed into the concept and technology."

Stefan Wölwer: Liebe Kollegen, darf ich kühn feststellen, dass wir hier inhaltlich sehr dicht beieinander sind, die Thematik aber jeweils aus den verschiedenen Professionen heraus beschrieben wird? Und dass genau in dieser Schnittmenge das richtig gute IxD/UX Design entsteht?

Matthias Müller-Prove: Gerne Stefan. Aber welche verschiedenen Professionen meinst Du? Ich dachte, wir spielen im selben Club.
Generell halte ich Worte und Begriffe für wichtig. Wenn man dann noch einigermaßen ein ähnliche Vorstellung davon hat, dann wahrt man die Chance sich zu verstehen und Neues zu entdecken.

John Maeda scheint zum Beispiel in seinem SxSW Report 'Interaction Design' zu vermeiden und benutzt statt dessen 'Computational Design'. Ich frage mich: warum?

Stefan Wölwer: Marc kommt aus der Psychologie, Du aus der Informatik und ich selbst aus Designstudiengängen. Und obgleich Du meine Grafik nicht so magst :-) , poste ich die hier nochmal zur Visualisierung unseres „Clubs“.



Matthias Müller-Prove: Da kann ich ein Mißverständnis aufklären. Deine Grafik ist ok. Ich habe hingegen ein generelles Problem im Venn-Diagrammen.

Hier am Beispiel: Gibt es Design außerhalb der SozWissenschaften, also gibt es Design, das nichts mit Menschen zu tun hat?? Oder, gibt es Technologie, die nicht gestaltet ist und die nichts mit Menschen zu tun hat?? Sie mag schlecht gestaltet sein, oder sie mag gestaltet sein ohne menschliche Bedürfnisse zu berücksichtigen – aber sie ist immer gestaltet und sie hat immer Einfluss auf die Gesellschaft und Zivilisation.

Vielleicht lese ich Venn-Diagramme ja auch nur falsch. Oder ich bin neurotisch…? (Es wäre nett, wenn mir jetzt jemand widersprechen würde.)
cf. https://twitter.com/wolframnagel/status/739111816148746241

Stefan Wölwer: Natürlich ist die Grafik eine Vereinfachung. Aber sie zeigt, dass alle drei Bereiche miteinander verwachsen sind. Plakativ kann ich sagen, dass die Ingenieure und Informatiker Entwicklungs-, die Soziologe eine Beschreibungs- und die Designer eine Entwurfskompetenz beisteuern.

Marc Hassenzahl: Generative Gestaltung. Design durch Code – etwas anderes hat Maeda eh nie gemacht. Overhyped. Seit Jahren hauen irgendwelche vermeintlichen Heros Begriffe raus, um sich abzusetzen. Warum sich den Kopf zerbrechen?

Thorsten Jankowski: ich bringe den angelsachsen gerne das wort "gestaltung" bei - ich kann das wort design nicht mehr hören.

ich finde da die deutsche sprache sehr viel präziser:

gestaltung ist der prozess, aus etwas unscharfem etwas präzises zu erschaffen, bzw. einer frage eine antwort entgegen zu setzen.

diese präzise umrissene antwort setzt sich zusammen aus der handlung und der rückmeldung, der äusseren form und des nutzungserlebnisses, das ein anwender erfährt, wenn er das fertige produkt, den service oder das system in unterschiedlichen situationen benutzt.

mir ist egal ob der nutzer eine hohe zufriedenheit durch eckenradien oder codeschönheit erfährt. das ist nebensächlich. es geht um den schaffungsprozess.

um zurück auf die ursprungsaussage zu kommen:

beim nutzungserlebnis geht es um individualismus - bei der handlung um die gesellschaft?

aus meiner sicht geht es bei der handlung um muster und beim nutzungserlebnis um vertrauen in systeme.

für mich ist dann also dieses die übersetzung:
Interaction Design is about instinct - UX design is about civilization

17. März 2017

Stefan Wölwer: Danke Thorsten, ich bin da (fast) ganz dabei! Denn es sollte eher heissen „Interaction Design is about intuition“. Unser Kollege Boris Müller hatte jüngst dazu ein schönes Essay geschrieben und mir aus der Seele gesprochen: In Defence of Intuition

20. März 2017

Stefan Wölwer: Was ist denn nun Design!

Hier sind ja nun schon einige gute Definitionen genannt worden, denen ich noch jene unserer Designwissenschaftlerin Sabine Foraita anfügen möchte:

„Design ist als zielgerichteter Prozess aufzufassen, der ein Problem in gestalterischer Hinsicht löst. Dabei kann es sich bei der Lösung um ein materielles oder immaterielles Ergebnis handeln.

Der Designer entwickelt also nicht mehr nur einen Gegenstand an sich, sondern vor allem die damit verbundenen Handlungsabläufe und berücksichtigt dabei die Bezüge, die der Gegenstand zu anderen Gegenständen aufweist, seinen Handlungs- und Umgebungskontext.“
(Vgl. Foraita, 2005, S. 187)

Aber in der Praxis sieht es leider oft anders aus und wir könnten hier die Kommentarspalten seitenweise mit negativen Beispielen dazu füttern. Hilft aber nicht.

Wir in Hildesheim (!) haben das natürlich früh erkannt und auf einen Bachelorstudiengang bzw. MA Gestaltung umgestellt! Und uns dann doch nicht getraut, die sogenannten Kompetenzfelder darin über Bord zu werfen. […] Sie machen aber dennoch Sinn, denn die Studierenden verlangen nach Orientierung. Bei der Bewerbung als auch im Studium selbst. Und so sind diese Kompetenzfelder für mich vor allem Reiseführer. Eine Empfehlung, mehr nicht. Vor allem kein Dogma. Wer will, kann auf die Empfehlung verzichten und studieren wie sie/er möchte. Machen aber noch die wenigsten.

Ich kenne nur sehr wenige Gestalter_innen, die die Bandbreite im Sinne von Sabines Design-Definition erfüllen, aber viele, die Teilaspekte hervorragend beherrschen. Marc Hassenzahl brachte ja das Beispiel mit dem Fotoapparat ein. Natürlich geht es ums Dokumentieren und Erinnern. Wenn aber niemand in der Lage ist, die notwendigen taktilen und digitalen Interfaces zu gestalten, die uns erlauben, das Ding zu bedienen, dann kommen wir mit dem Erinnern nicht weit. Im Transportation Design ist es ja ganz ähnlich.

Es kommt also auf das Team an. Und darauf, dass Designer_innen die Neugier, die sie gern für sich reklamieren, auch in den Gestaltungsprozessen, in die sie involviert sind, nicht vergessen und aufeinander zugehen.

Jetzt haben wir das mit dem UX und IxD noch immer nicht ganz geregelt. Drum gilt für mich:

Interaction Design is a state of mind!

Thorsten Jankowski: Mal was unqualifiziertes: Sabines wie auch mein Design Verständnis kommt aus Braunschweig – ich fände es interessant heute mal Holger van den Boom's Meinung dazu zu hören. Von dem haben wir nämlich beide unsere Auffassung

Frag sie mal....

Ach ja: noch ne kleine Anekdote: ich wollte seitdem ich 13 war autodesigner werden, als ich dann an der hbk in Braunschweig anfing, und bei Klaus Busse sah, was einen echten autodesigner ausmacht, entschloss ich mich spontan doch lieber was anderes zu werden. Aus mir wurde dann sowas wie ein interaction Designer mit industrial design Diplom

21. März 2017

Stefan Wölwer: Und hier noch ein Gespräch zum Thema, dass ich mit Matthias Müller-Prove im vergangenen Jahr führen durfte: Das HAWK Gespräch mit Matthias Müller-Prove

Das HAWK Gespräch mit Matthias Müller-Prove from HAWK Hildesheim

Marc Hassenzahl: Ich habe das Gefühl, ich komme nicht so richtig durch. Die Definition „Design ist als zielgerichteter Prozess aufzufassen, der ein Problem in gestalterischer Hinsicht löst. Dabei kann es sich bei der Lösung um ein materielles oder immaterielles Ergebnis handeln." ist natürlich genau das Problem. Das ist mit Verlaub trivial und passt auf jede Disziplin, die ich mir vorstellen kann. Auch Psychotherapie, Gärtnern und Quantenphysik fällt darunter. Nun ist vielleicht die "gestalterische Hinsicht" der Knackpunkt, aber was ist dies denn nun?

Ich sehe zwei Möglichkeiten: Design als Handwerk. Nun ja, wir brauchen Apps und Möbel etc. und einer muss die entwerfen, so dass sie haltbar, schön, verkaufbar sind. Man kann das jetzt verbrämen, wie es eben im letzten Jahrhundert getant wurde, und es gibt sicher auch wirklich schöne Möbel. Aber es bleibt dabei: Wie Köche, Maurer und Zimmermänner macht der Designer "Dinge" für den Gebrauch, angespornt durch einen Auftraggeber. Eine Berufsausbildung. Gute Praxis etc. Nehmen wir mal die wieder aufkeimende Konsumkritik mit ins Bild, ist es vielleicht auch nicht mehr so cool für den ganzen Kram verantwortlich zu sein. Transportation-Design war ein Beispiel. Man muss schon sehr freaky sein, um da noch Interesse aufzubringen. Mal so gebogen, mal so, mal silbern, mal bunt, who cares? Es ist nur ein Auto.

Nun könnte Design aber auch ein erkenntnisgewinnender Zugang sein, eine Methode. Was braucht das? Zunächst muss es sich als Methode von anderen wissenschaftlichen Zugängen abgrenzen, bzw. eingrenzen. Was kann das Design als Zugang leisten, dass andere so nicht können oder wollen? Was ist ein Erkenntnisbegriff hier? Und es muss auch Anwendungsbereiche geben, in denen unabhängig von dem Nachdenken über die Methode (der Selbstbespieglung) Erkenntnis gewonnen wird. Was sind die Erkenntnisgegenstände? Sozialdesign, Selbstdesign etc. Und es muss natürlich auch genuin sein – das Anwenden gesicherter Fakten über, z.B. menschliche Wahrnehmung, um dann so zu tun als würde man genuin Wissenschaft betreiben, geht nicht. Man muss ein Feld eröffnen, dass anders ist, einen anderen Zugang liefert. Und die Erkenntnis sollte in guter wissenschaftlicher Manier der Menschheit und ihrem Wohlbefinden zur Verfügung gestellt werden. Dafür sind ja auch Universitäten da – Dinge zu tun, die noch nicht oder nicht kommerzialisiert worden sind. Es braucht also keinen Auftraggeber, außer der Menschheit. Wenn man da was verbinden kann gut, aber es ist nicht nötig und schränkt ein.

Das Schlimme ist: Design könnte letzteres sein. Eine humanistische Transformationswissenschaft, qualitativ-orientiert, lokal, handlungsforschend. Und in einigen europäischen Ländern positioniert es sich auch so. Aber in Deutschland? Vernachlässigte wissenschaftliche Ausbildung (Zeich[n?]en ist halt auch wichtig), die, die es gibt, ist einseitig historisch-geisteswissenschaftlich, oft Wissenschaft über Design statt durch Design. Und meist nicht gut mit dem Rest der Ausbildung verzahnt. Designwissenschaftler, die eigentlich inhaltlich Orientierung geben sollten, schreiben entweder gar nichts oder darüber, wie wichtig ihre Zunft ist. Ich denke, es fehlt an intellektuellem Rüstzeug in der Designausbildung, um "mitspielen" zu können, nicht an Neugier oder Kreativität oder Aktionismus – davon haben alle Designer, die ich kenne reichlich und das finde ich sehr angenehm. Aber die Welt ist kompliziert.

Also vergessen wir doch mal kurz, wer Design alles gut finden soll, wer Designer einstellen soll, oder nicht, und welche Software und Maschinen Designer unbedingt beherrschen müssen – Ein wirklich universitäres, an Erkenntnis orientiertes Design könnte interessant sein. Dazu muss es aber ein entsprechendes Selbstbild entwickeln und sich nicht nur als Erfüllungsgehilfe sehen. Es darf sich nicht von Buzzwords durch die Gegend treiben lassen und es darf sich nicht im argumentlosen Beschwören der eigenen Genialität verlieren.

Deswegen sind auch die Begriffe nur halb so wichtig, wie das, was sie konzeptionell beschreiben (um den Bogen zum Anfang zu schlagen). UX beispielsweise ist eine wichtige Erweiterung des Usability-Begriffs. Jedenfalls für mich, denn er beschreibt das Hinwenden zum Subjektiven, der temporalen Gestalt der Interaktion und das Hinwenden zum Emotionalen, Positiven. Das U loszuwerden, ist auch wichtig. Als gäbe es Experiences, die nicht durch Interaktion geformt wären. So wie es wichtig ist HCI loszuwerden, denn Interaktionsdesign braucht keine Computer. Und der jetzt gerade erfolgende Drall ins Wellbeing ist auch wichtig, denn der Begriff konfrontiert uns mit unsere Verantwortung. Experience Design geht auch für Kampfroboter, Design for Wellbeing nicht. Das sind aber breite Strömungen, die man daran erkennt, wie Leute in einem Feld ihre Arbeit beschreiben, welche Artikel zitiert werden, welche Begriffe den Weg in die eigenen Arbeit finden. Also andersherum: Was wollen wir sagen? In welche Richtung soll sich das Feld entwickeln? Und warum? Dann finden wir auch gute Begriffe.

Wolfgang Zeh: Danke!

Design as craft, design as product, design as service,...

Die letzten beiden Fragen: In welche Richtung soll sich das Feld entwickeln? Und warum? – beantworten sich doch aber mit einem Blick auf den aktuellen Stand der Entwicklung.

Möchte man das? Möchte man "Zurück in die Zukunft"? Das kann ich mir nicht vorstellen. Daher die Frage: warum wird es nicht geschafft? An welchen Stellen hängt es?

Wenn die Wirtschaft "Wünsche" äußert, kontert die Hochschule mit der "Freiheit der Lehre". Beides hat seine Berechtigung. Aber letztlich geht es doch um etwas viel wichtigeres als seinen Standpunkt durchzudrücken. Daher wünsche ich mir das die zukünftige Lehre "einem Fehlen an intellektuellem Rüstzeug in der Designausbildung" den Kampf ansagt, und es schafft, mit der Wirtschaft zusammen, eine saubere Staffelstabübergabe zu realisieren. Denn die "Designausbildung" sollte dann dort weitergehen.

22. März

Stefan Wölwer: Form follows reason!

Leider wurde und wird ja das Essay „Das hohe Bürogebäude, künstlerisch betrachtet (1896)“ von Louis H. Sullivan so oft missverstanden. Und seither quält uns das „Gesetz“ Form follows Function. Da wurde im Design eine ganz schöner Pfosten eingeschlagen. Auf der anderen Seite bedrängt uns die Prämisse der „künstlerischen Auseinandersetzung“ an klassischen Gestaltungshochschulen, unter der dann allerhand Unfug als experimentelle Forschung verkauft werden soll. Deswegen würde ich ja auch den oben beschriebenen Master-Studiengang ausserhalb der üblichen verdächtigen Institutionen aufbauen wollen.

Für mich ist Sabines Definition nicht trivial, solange es noch solche Missverständnisse über Design gibt. Diese zu klären ist ja auch Aufgabe der Designwissenschaft und -theorie. Und da gibt es, wenig überraschend, auch eine gewisse Bandbreite an Qualitäten. Wenn’s gut läuft entwickeln sich daraus Studiengänge wie Transformation Design an der HBK Braunschweig , aber auch dort leiden die Kollegen an den tradierten Hochschulstrukturen.

Ich bin sehr dafür, dass es im Design wissenschaftlicher zugehen sollte und sehe hier durchaus positive Entwicklungen. Und die sind auch notwendig, damit unsere Entwurfsleistungen besser werden und damit auch die Anerkennung der Disziplin in anderen Professionen.

Dazu benötigen wir das auch von Dir geforderte intellektuelle Rüstzeug. Als Sabine und ich das vor zwei Jahren einmal bei einer Konferenz vor Kunstlehrern gefordert hatten, fielen denen die Kreidestücke aus den Händen, mit denen sie zuvor dem geneigten Nachwuchs Kreativität „schmackhaft“ machten. Wir müssen da also schon vor dem Studium ansetzen. Aber wie sagen wir den Schüler/innen, was das ist, was wir da machen? Wellbeing könnte in dem Alter missverstanden werden.

Am besten klappt es aus meiner Erfahrung mit guten Arbeiten. Die ich dann aber weiterhin gerne unter Interaction Design verordne.

Wolfgang Zeh: So wie sich das Designstudium nicht von "Design as Craft" gelöst hat, hat sich der Kunstunterricht nicht gelöst. Es wird ja von oben her so vor gelebt. Bei Schülern/Bewerbern, herrschen mehrheitlich die klassischen Designdisziplinen Grafik- und Produkt vor. Da gibt es keine Vorstellung (und auch kein Interesse/Beschäftigung) was z.B. Editorialdesign sein könnte. Und Hochschulen möchten sich dann noch mit möglichst individuellen Studiengangsdefinitionen positionieren (sogar ohne Inhaltlich zu liefern), und wundern sich dann, warum es nicht funktioniert.

Dann macht man eben einen Masterstudiengang... evtl. sind dann die Studies etwas empfänglicher. Da hat man ja etwas Zeit gehabt das Designverständnis welches die Gesellschaft geformt hat wieder etwas gradezubiegen.

Aber kann das der Weg sein? Ist es richtig ~3 Jahre etwas "Falsches" zu machen, um dann bei einem Viertel oder Fünftel derer dann in ~1-2 Jahren wieder alles gerade zu biegen? Und alle B.A.-Berufseinsteiger sind dann im Markt mit dem was sie "gelernt" haben? Warum kann man nicht im ersten Semester mit einer Lehre beginnen die Studierenden eine eigene Haltung vermittelt und die ihnen ermöglicht selbständig Entscheidungen zu treffen, auch in der Wahl des Mediums? Natürlich kann man damit noch früher beginnen, der angelsächsische Raum macht es vor, aber es wäre viel einfacher, von innen heraus aktiv zu werden ohne auf die zu berufen die es einem schwer machen. Das hier passt btw. ganz gut dazu: Training for Exploitation? - PWB

Stefan Wölwer: Es geht mir nicht darum, den Bachelor-Studiengang links liegen zu lassen und im Master etwas gerade zu biegen. Das kann nicht funktionieren, im Gegenteil, gerade ein qualitatives Bachelor-Studium in den von mir genannten Professionen kann ja erst zur der anvisierten Teamarbeit im Master führen.

Stefan Wölwer: Rochus Hartmann

Marc Hassenzahl: Natürlich habe ich zu dem falsch verstandenen "form follows function" auch noch etwas beizutragen :-) Mein Lieblingsshirt!

Matthias Müller-Prove: Aus aktuellem Anlass (nämlich diesem Thread, der sich leider in farcebook abspielt) sind mir just 2 Statements zu Design über den Bildschirm gesprungen:

Jared Spool says:

"Design is the rendering of intend." /via

Paul Pangaro says:

"the cardinal goal of interaction design: to create conditions such that each participant can be whom they want to be—or become." /via

23. März

Stefan Wölwer: Gunnar F. H. Spellmeyer

<<<< Ende der fb-Diskussion <<<<

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